Inhalt: Dialektischer Materialismus / Historischer Materialismus / Marxismus / Leninismus

 

Historischer Materialismus

 

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1.1.1     Dialektischer Materialismus

Die materialistische Dialektik nimmt im Marxismus eine zentrale Stellung ein. Den Begriff der Dialektik definierte Marx aber nie konkret, obwohl er einmal verlauten liess, dass er vorhabe, eine Abhandlung über die materialistische Dialektik zu verfassen.4 Der Anspruch von Marx und Engels war es, die Hegelsche Dialektik

"...auf den Kopf, oder vielmehr vom Kopf, auf dem sie stand, wieder auf die Füsse gestellt"5

zu haben. Darunter verstanden sie die Umwandlung von Hegels idealistischer Dialektik in eine materialistische: Anstelle der abstrakten Hegelschen >Idee<, die die Wirklichkeit begründen und bewegen soll, sahen Marx und Engels die Materie als Grundstein der Welt. Die Dialektik soll nicht in unserem Denken existieren, also eine Interpretation des Empfundenen sein, sondern real in der materiellen Welt6 selbst vorherrschen:7

"Meine dialektische Methode ist der Grundlage nach von der Hegelschen nicht nur verschieden, sondern ihr direktes Gegenteil. Für Hegel ist der Denkprozess, den er sogar unter dem Namen Idee in ein selbständiges Subjekt verwandelt, der Demiurg des Wirklichen, das nur seine äussere Erscheinung bildet. Bei mir ist umgekehrt das Ideelle nichts anderes als das im Menschenkopf umgesetzte und übersetzte Materielle."8

Durch wissenschaftliche, empirische Beobachtung und Forschung könne nun diese Dialektik in der materiellen Welt erfasst und daraus auf die Entwicklung der Welt geschlossen werden.9

Dabei wird davon ausgegangen, dass sich die Materie selbst bewegt, ja sogar, dass Materie und Bewegung eine Einheit bilden.10 Durch innere Widersprüche (quasi die berühmten >Thesen< und >Antithesen<) bilden sich ständig Synthesen, die die beiden Gegensätze in sich aufnehmen, sie aufheben und trotzdem bewahren.11 Aus derartigen Aufhebungen entsteht eine vorwärtsgerichtete Bewegung hin zur höchsten Synthese.12

Die Schwierigkeit der Dialektik besteht darin, geeignete Widersprüche, also geeignete Thesen und Antithesen zu finden.13 Die Dinge und Verhältnisse tragen den Widerspruch bereits in sich, werden durch ihn bewegt.14 Nicht jeder Widerspruch führt aber zu einer Synthese, geeignete Methoden für das Erkennen der >brauchbaren< Widersprüche wurden nie bestimmt.15 Aus diesem Grund scheint die Dialektik eine Interpretationstheorie zu sein, nicht aber geeignet, zukünftige Entwicklungen vorherzusehen.16

1.1.2     Historischer Materialismus

Im historischen Materialismus wird nun die soeben dargestellte Dialektik der Materie auf die gesellschaftliche, historische Entwicklung angewandt. Diese werde durch Gesetze gelenkt, die nicht nur vom menschlichen Willen oder seiner Absicht unabhängig seien, sondern im Gegenteil selbst das menschliche Bewusstsein bestimmten.17 Oder wie Marx es ausdrückte:

"Es ist nicht das Bewusstsein der Menschen, das ihr Sein, sondern umgekehrt ihr gesellschaftliches Sein, das ihr Bewusstsein bestimmt."18

Der Mensch wird demnach nicht als autonomes, aus freiem Willen handelndes Wesen angeschaut, sondern seine Handlungen werden aus dem gesellschaftlichen Sein heraus erklärt. Angewandt heisst das, dass die Proletarier sich erheben müssen, wenn es das gesellschaftliche Umfeld verlangt.19 Dabei ist die Entwicklung nicht geradlinig, sondern es gibt zwischendurch qualitative Sprünge, die sich zum Beispiel in Revolutionen zeigen:

"Wir gaben dort eins der bekanntesten Beispiele - das der Veränderung der Aggregatzustände des Wassers, das unter Normalluftdruck bei 0°C aus dem flüssigen in den festen, und bei 100°C aus dem flüssigen in den luftförmigen Zustand übergeht, wo also an diesen beiden Wendepunkten die blosse quantitative Veränderung der Temperatur einen qualitativ veränderten Zustand des Wassers herbeiführt."20

Diese Konzeption erscheint äusserst passiv, da die menschlichen Handlungen nur als Reaktion auf die Umstände verstanden werden. Die aktive Rolle der Partei21 wurde später von Lenin dadurch begründet, dass sie und ihre Führer die dialektischen Entwicklungsgesetze verstanden hätten und daher die Entwicklung bestimmen und beeinflussen könnten.22 Unterstützt wurde er dabei durch ein Engelswort, das besagt, dass Freiheit die Erkenntnis der dialektischen Naturgesetze bedeute. Seien diese Gesetze erkannt, könnten sie, so Engels, planmässig zu bestimmten Zwecken genutzt werden.

"Freiheit besteht also in der auf Erkenntnis der Naturnotwendigkeiten gegründeten Herrschaft über uns selbst und über die äussere Natur."23

Freiheit wurde von Engels auch als

"Einsicht in die Notwendigkeit"24

definiert. Durch die Einsicht in die Notwendigkeit der Naturabläufe und das Bewusstwerden dieser Notwendigkeit werde man frei. Dadurch, dass man die dialektischen Bewegungsgesetze erkenne, emanzipiere man sich von der Natur und könne aufgrund dieses Wissens selbst aktiv und frei die Zukunft bestimmen.25

1.1.3     Kommunismus

"Die Geschichte aller bisherigen Gesellschaft ist die Geschichte von Klassenkämpfen."26

Die Aufhebung dieser dialektisch verstandenen Klassenkämpfe ist das Ziel der Kommunisten - ein Ziel das dem Himmelreich vieler Religionen in mancher Hinsicht ähnelt.27 Dieses Ziel schien Marx in erreichbare Nähe gerückt zu sein, da

"in den Lebensbedingungen des Proletariats alle Lebensbedingungen der heutigen Gesellschaft in ihrer unmenschlichsten Spitze zusammengefasst"28

waren. Die Unterdrückung schien auf ihrem Höhepunkt angelangt zu sein, weshalb sich die Proletarier aufgrund des historischen Materialismus in einer Revolution erheben und die politische Macht erlangen müssten.29 Einmal an der Macht sollten sie die Bourgeoisie enteignen und das Privateigentum aufheben.30 Somit gäbe es keine Unterdrücker, also auch keine Unterdrückten mehr und die Dialektik der Klassengegensätze wäre aufgehoben. Ohne Privateigentum wäre aber auch Diebstahl unmöglich (man kann sich nicht selber bestehlen), die Familie sollte aufgehoben werden, um einerseits den Ehebruch zu verunmöglichen, andererseits

³"an die Stelle der häuslichen Erziehung die gesellschaftliche [zu] setzen."31

Auf solche und ähnliche Weise sollten alle Übel ausgemerzt und der Kommunismus erreicht werden.

1.1.4     Leninismus

Marx' Konzeption war ziemlich passiv. Aufgrund seiner materialistisch-deterministischen Denkweise war er überzeugt, dass die Zeit für die Revolution kommen werde und nicht erzwungen werden müsse.32 Den historischen, dialektischen Ablauf konnte man nicht überlisten, wie es Lenin 1917 versucht hatte, indem er die Revolution im präkapitalistischen Russland ausrief und damit eine notwendige Entwicklungsstufe - die bürgerliche - ausliess.33

Lenin war der Urheber der Theorie, dass die kommunistische Partei die Avantgarde der Arbeiterklasse darstellen und das Proletariat zum Sozialismus führen müsse. Zudem war er der eigentliche Schöpfer der Idee der Diktatur des Proletariats als Diktatur einer organisierten Minderheit im Namen des Proletariats.34 Diese meist aus der bürgerlichen Intelligenz stammende Vorhut der Arbeiterklasse, die Kommunistische Partei, hatte die Aufgabe, das Proletariat erst zum >wirklichen< Proletariat zu machen.35 Ohne aktive Organisation fehle den Arbeitern hingegen der Klassenzusammenhalt, der Voraussetzung für die proletarische Revolution sei.36 Diese nahm in Lenins Denken einen zentralen Stellenwert ein, wobei er sich im Gegensatz zu Marx nicht in allgemein-theoretischer Art damit befasste, sondern die konkrete Planung einer nahen Revolution anstrebte.37 Nach der erfolgreichen Revolution und dem darauffolgenden Sozialismus als >niedere Phase des Kommunismus< bleibe das bürgerliche Recht und der bürgerliche Staat noch eine Zeitlang bestehen - nur ohne Bourgeoisie.38 Auch der Sozialismus erfordere aber

"keineswegs einen besonderen militärischen und bürokratischen Apparat mit beamteten Personen in bevorzugter Stellung."39

Diese Gedanken sind schwer vereinbar mit Lenins Theorie der Diktatur des Proletariats, mit welcher er den bürgerlichen Staat en bloc zerschlagen wollte. ähnlich inkonsequent und unscharf war auch Lenins Demokratiebegriff.40 An einer Stelle setzte er Demokratie mit Staat gleich, weshalb nicht nur der Staat, sondern auch die Demokratie in der Revolution zerstört werden müsse. An anderer Stelle behauptete er, dass die Diktatur des Proletariats >demokratischer< sei als die kapitalistische Demokratie und nur eine Diktatur im Hinblick auf die Minderheit der (früheren) Unterdrücker darstelle. Demokratie erhält so eine positive Konnotation bezüglich der kommunistisch-marxistischen Umsetzung und eine negative bezüglich der bürgerlich-parlamentarischen Tradition. In beiden Systemen wird Demokratie gleichgesetzt mit Unterdrückung: Handelt es sich um die Majorisierung einer Minderheit (der ehemaligen Ausbeuter), spricht Lenin von >wahrer Demokratie<, handelt es sich um die Unterdrückung der Mehrheit (der Ausgebeuteten), spricht er von >Diktatur<. Mit dem Erreichen des Endzustandes, des Kommunismus, würde dann der Staat als Herrschaftsinstrument absterben und die >wahre Demokratie< vorherrschen, wie Marx an zwei wichtigen Stellen bemerkt hatte. Diese Bedeutung wurde von Lenin ebenfalls vertreten - als dritte Bedeutung von >Demokratie<.4s