Inhalt: Geschichte kann
Toleranz stärken oder schwächen
- Die Balkankriege der Neunziger
Jahre basieren auf alten bis uralten "Geschichten". Unterschiede in der Religion,
der Gedanke an frühere mächtigere Grossreiche, an die eigene ehemalige
Grösse führten zu den brutalen Massenmorden und Kriegen in der
Region. Menschen, die jahrzehntelang friedlich als Nachbarn lebten, begannen
plötzlich sich gegenseitig umzubringen - im Gedanken an frühere
Zeiten, wo es besser war, wo "ihr" Volk "stärker" war.
- Durch das Wissen um den Holocaust
wurde den Juden verstärkte Toleranz entgegengebracht, aus einem offenen
Antizionismus wurde ein zumindest offizieller "Philozionismus". Eine Regierung,
die sich gegen die Juden stellt, muss damit rechnen, sofort an den Pranger
gestellt zu werden. Die Toleranz gegen die Juden ist gestiegen, diejenige
gegen Rechte zumindest offiziell gesunken.
- Das zeigt nur schon der Ausspruch
von Italiens Ministerpräsidenten Berlusconi Ende September 2001. Ein
im Gegensatz zu den Aeusserungen, die im Italien der Zwanziger Jahre getätigt
wurden, sehr vorsichtiger Ausspruch über die Minderwertigkeit der islamischen
Kultur (im Zusammenhang mit dem Anschlag aufs World Trade Center), geriet
zur Regierungskrise. Die meisten Menschen der westlichen Kultur denken wohl
so wie Berlusconi - gleich wie die meisten Araber von ihrer kulturellen Überlegenheit
gegenüber dem Westen überzeugt sind - doch im Hinblick auf vergangene
Ereignisse darf ein Regierungsmitglied eines westlichen Staates einen solchen
Spruch nicht tätigen.
- "Indem wir Fremdes und Vergangenes
verstehen, nach seinen Normen und nicht nach unseren, lernen wir Zuhören,
Mitgefühl, noch einmal: Gerechtigkeit gegen andere, werden wir skeptisch
gegen unseren Eigensinn und unser moralisierendes Besserwissen, werden tolerant."
Aus: Thomas Nipperdey. Wozu Geschichte gut ist. In: Militärgeschichtliche
Mitteilungen I, 1987.
- Warum sind wir wie wir sind?
Warum sind die anderen so, wie sie sind? Das Verständnis des jeweils
verschiedenen kulturellen Hintergrunds kann das Interesse und Verständnis
am Fremden wecken und zu Toleranz führen - oder gerade zu Intoleranz.